1968 zu Faust in Leipzig und Sophie Scholl die weisse Rose
"Das ewig weibliche ziehet uns hinan..." Faust II und dieser Spitzbart, diese "uralt heil'gen" Absonderlichkeiten" (Ulbricht), der Reiz am Verbotenen, mit den Maedels fliegen... von links Emmis, Bully, Muck, Stark, Shlaks, Willi, James, Klassenkameraden auf dem Bahnhof nach Leipzig. Von der Staatssicherheit verhoert und kontrolliert. — "Welche Regierung ist die beste? Jene welche uns lehrt uns selbst zu regieren." Goethe
Faust II and that pick beart (Ulbricht), that "very old holy" singularities (oddities), that fun of forbidden, that fly with girls... from left... Interrogated and controlled by intelligence. — "Which government is the best? That which teaches us to govern ourselves." Goethe
1967 bemalen Willi und ich unser dunkelblaues Schlossergewand zum Jux mit weisser Kreide und US Army Symbolen auf den Aermeln. US ist auch die Abkuerzung meines Namens, so signiere ich noch heute meine Bilder. US und WS schauen verwandt aus. Es gab ein Gejohle, und es tobte der Vietnam-Krieg. Feindliche Abzeichen im Unterricht, in der Kantine herum laufen und sonst wo zeigen?! Das gibt was! Wir koennen das Lachen kaum unterdruecken. Doch trotz gespielter Haerte drueckt auch der Ausbilder, Eckstein geheissen, nachher ein Auge zu. Das Possenspiel reizt zur Nachahmung.
Ohnmacht, Panzer, Protest, Zettel voll gezeichnet, weiter gegeben nach ihrem Vorbild Sophie Scholl die weisse Rose, Flugblaetter von der Bruestung in die Aula gefallen (mein lieber Scholli, fuer welches gegaucke die heute her halten muessen). Das Bildungssystem dieser Zeit sah 4 Jahre bis zum Abitur vor (insgesamt 12 Jahre), verbunden mit einem gesonderten Berufsabschluss in einem Betrieb. Das war nicht schlecht. Parallel zur Erweiterten Oberschule (Gymnasium) gehen wir alle 14 Tage mal fuer 2-3 Tage in die Berufausbildung der SDAG WISMUT in Schlema, dem Sowjetisch-Deutschen Uranbergbau im Erzgebirge. Kombiniert mit dem Abitur an der Penne fahren wir mit Kumpels unter Tage, lernen Elektromontageschlosser (Grubenelektriker) und Zusammenhalt. Manche Kumpel machen derbe Spaesse ueber den Spitzbart, sie koennen sich das erlauben. Kann man nichts machen, sagen sie, dafuer gabs frueher Sibirien...
Was fuer ein Witz, wie die Fuehrung doch die Arbeitenden fuer dumm verkauft: hier sie mit Versprechungen, Zensur und Willkuer in ihren Tintenburgen und da die, in deren Namen sie diese Macht aus ueben. Was fuer eine Selbsttaeuschung. Was fuer Legenden, wie die vom ab gestuerzten 1. Deutschen Duesenverkehrsflugzeug aus Dresden; oder wie sich ein Mann namens Apel die Kugel gab. Das Parteibuch der Kommunisten um Ulbricht erschien mir genauso dogmatisch, wie das Vater unser der Katholischen Kirche, wie 2 Heilslehren aus einem Stamm, hier der neue Mensch, dort im Jenseits. Kurios, mein Weg fuehrte mich immer wieder in die Katholische Kirche, wie um das Erhebende und die Toleranz besser verstehen zu koennen. Hannah Arendt schrieb mal: die totale Kontrolle hat zum Ziel, das Wesen der Menschen zu aendern; heute wuerde man sagen um programmieren. Ob das den Kontrolleuren bewusst ist?
Schon am 17. Juni 1953 in Berlin wollten Arbeiter, Angestellte und Studenten dem Spitzbart kuendigen, gings gegen seinen ganzen Machtapparat. Stefan Heym erzaehlte: Die Arbeiter legten zuerst die Arbeit nieder am Bau in der Stalinallee, bei Bergmann-Borsig, in der Brotfabrik, im Druckguss in Weissensee, im Lokomotivenbau Hennigsdorf (meinem spaeteren Arbeitgeber) und liefen spontan und in mehreren Zuegen vor das Regierungsgebaeude. Sie streikten gegen ueberhoehte Normen und immer mehr Arbeit fuer wenig Lohn und Kauf. In Westberlin kostete bei Schuh-Neumann ein Paar Herrenschuhe 10 DM, in Ostberlin musste ein Arbeiter dafuer 80,- Mark hinlegen, um das gleiche Paar zu bekommen. Das war soviel wie ein Wochenlohn. Mit Familie konnte man sich das nicht leisten. Nach der Westdeutschen Waehrungsrefom 1949 war der Umtauschkrampf erst richtig entbrannt im geteilten Berlin. Die SED versuchte die Arbeiter zu beruhigen: Genosse Selbmann sprang auf einen Tisch und rief, die Normen sind weg! Und die ersten gingen nach Hause. Aber da die Kolonnen aus verschiedenen Richtungen an kamen, gabs wieder neuen Protest, Studenten waren auch dabei. Und als die Russischen Panzer (wie spaeter in Prag '68) in der Friedrichstrasse, Unter den Linden auf donnerten, die Kanonen drehten und in die Luft schossen, wurde die Menge erst richtig wuetend, warf Pflastersteine und zerstreute sich. Grenzhaeusel wurden abgerissen, in die Spree geschmissen oder an gezuendet. Man lief auf die checkpoints zu und dachte: jetzt ist die Teilung Berlins vorbei. Doch Pustekuchen. Die Amis riegelten die Sektorengrenze ab, machten mit den Russen halfpart. Der Regen kam, vorbei.
Anhaenger sagten Ulbricht logisches Denken nach und Kybernetik und was in der black box steckte, er hatte seine Fans. Mit seiner Erziehung zum besseren Menschen war "Spitzbart" nicht weit entfernt vom Amerikanischen Psychologen B. F. Skinner, der die ganze Gesellschaft konditionieren wollte (heute noch mehr in). Falsch verstandene Kybernetik oder, was fuer Maschinen gilt, geht nicht fuer Menschen; so gesehen meine Begeisterung fuer Mess- und Regeltechnik und 1. Studienjahr Energietechnik (Maschinenbau) an der Bergakademie Freiberg.
Doch eins blieb: wenn wir nur aus allen Richtungen gleichzeitig aufs Ziel los liefen, kam die Macht ins Wanken! Das war eine Vorgehensweise, vor der die Regierung Angst hatte. Aber wie sowas bewerkstelligen? Da musste man schon bei den Arbeitern sein (auffaellig, dass der 17. Juni nicht der Tag der Deutschen Einheit blieb). Der 9. November 1989 brachte so die Mauer zu Fall.
|
Full size:
640x413
|